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Fehlt uns der Mut?

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Fehlt uns der Mut?

Ja immer häufiger stellt sich mir diese Frage in den Weg. Mutig zu sein und sich auf den Weg zu machen. Dies meine ich sowohl im realen Sinne, sich auf einen realen Weg zu begeben, als auch im übertragenen Sinne etwas (endlich) anzugehen was schon lange auf einer Gedankenliste steht. Ja mutig zu sein sich neuen, für einen selbst unbequemen Sichtweisen zu stellen. Das wiederum bedeutet erstens zu registrieren, dass es überhaupt andere Sichtweise als die ich einnehme, gibt und zweitens auch noch zuzugeben, dass diese anderen Sichtweisen auch ihre Berechtigung haben. Fehlt uns vielleicht auch der Mut, wenn wir diese anderen Sichtweisen schon wahrnehmen, für uns auch noch als richtig erkennen, sie überhaupt in unser Leben zu lassen? Dies bedeutet immer Veränderungen. Das Alte zu verlassen und sich dem Neuen zu stellen?

An dieser Stelle möchte ich eine junge Frau, die mich sehr beeindruckt hat, zitieren. Julia Engelmann schreibt in einem Poetry Slam:

 

„Lass ma‘ an uns selber glauben,

ist mir egal ob das verrückt ist,

und wer genau kuckt sieht,

das Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist.

 

Anagramm von griechisch anagráphein ‚umschreiben

Julia Engelmann benutzt Mut als Umschreibung für Glück. Und doch wirkt es nicht nur als Umschreibung, sondern gleichzeitig als Aufforderung, ja als Versprechen. Es steht in ungeschrieben Worten darüber; „Wer mutig ist, wird glücklich.“

Fehlt uns der Mut? Ja, dürfen wir mutig sein „Nein“ zu sagen? Dürfen wir an uns denken? Dürfen wir egoistisch sein? Ist Egoismus nicht oft negativ besetzt?

Vielleicht ist es so, dass uns Egoismus sehr oft in einem negativen Sinne begegnet, doch ich kenne ihn auch im positiven Sinne.

Dazu etwas aus meinem eigenen Leben.

2005 erlitt ich einen Herzinfarkt. Dies war in zweierlei Hinsicht ein einschneidendes Erlebnis. Zum einen durfte ich feststellen, dass ich nicht der Unangreifbare, der Standhafte, der Fels in der Brandung war und zweitens durfte ich einsehen, dass einige Veränderungen in meinem Leben anstanden, wollte ich noch etwas von meiner Rente haben bzw. überhaupt das Rentenalter zu erreichen.

Dort sah ich für mich zwei wesentliche Verhaltensweisen als notwendig an, sie zu verändern. Das Rauchen einstellen und das "Nein" sagen lernen.

Was ich hier so einfach und leicht in einem Satz formuliere, sollte sich als lange währende Herausforderung erweisen. Nun lag ich drei Tage auf der Intensivstation und jeder mag sich denken, dass das Rauchen dort nicht so sehr unterstützt wird wie ich mir gewünscht hätte. Die weiteren vier Tage lag ich noch auf der Akutstation und durfte das Gebäude nicht verlassen. Nun hatte ich eine Woche schon nicht geraucht, bevor ich die dreiwöchige ReHa antrat. Die ReHa fand in dem Nachbargebäude statt. Beim Wechseln sah ich die Raucher eher leicht versteckt an einem überdachten Fahrradständer wie Aussätzige stehen. Ja, dieser Vergleich schoss mir als Gedanke in den Sinn. Dies war aber noch nicht das Schockierendste was ich sah. Dort saßen auch Menschen mit amputierten Beinen im Rollstuhl und rauchten. Nun dies war eine reine Herz- und Gefäßklinik, da fehlte mir nicht die Vorstellung, dass Rauchen in dieser Situation nicht förderlich war. Ich fällte die Entscheidung solange ich in dieser Klinik bin, erniedrige ich mich nicht und stelle mich zu diesem Fahrradständer. Also hatte ich am Entlassungstag schon vier Wochen nicht geraucht. Doch wer glaubt, es war einfach, dem darf ich hier sagen, dass ich in jeder Minute dieser vergangenen vier Wochen um mein Nichtrauchen gekämpft habe. Es sollte jetzt, da ich entlassen worden bin nicht einfacher werden. Die Zeiträume an denen ich nicht an Rauchen gedachte habe wurden mit der Zeit größer aber ich erwischte mich noch 10 Monate später dabei, wie ich einem Raucher in einer Fußgängerzone hinterher gelaufen bin. Da wurde mir klar wie beherrscht ich vom Rauchen war, dass ich dem Rauch in der Nase gefolgt bin und mein Ziel völlig aus den Augen verlor. Ich befand mich nicht nur auf dem falschen Weg, sondern habe auch die Richtung völlig aus den Augen verloren. Ich hatte erkannt und tat im doppelten Sinne Buße. Ich bin nicht nur in meinem Innern umgekehrt und habe mich wieder meiner gesunden Einstellung gewidmet, sondern habe mich auch real umgekehrt und bin auf den für mich richtigen Weg, nämlich auf den, der mich zu meinem Ziel führt, zurückgekehrt. Nun bin ich schon über 14 Jahre rauchfrei und manchmal fällt es mir immer noch schwer, dem zu widerstehen. Dann erinnere ich mich genau an dieses Erlebnis und entscheide mich wie beim Alkohol für ein selbstbestimmtes Leben. Ich lasse mir weder von Alkohol als auch vom Nikotin mein Leben diktieren.

Wie ich in diesem Zusammenhang auch lernte, darf ich auch einmal gefasste Entscheidungen revidieren. So im letzten Jahr geschehen. Ich durfte schon mit 32 in ein bis heute abstinentes Leben treten und habe es seitdem auch nicht bereut, eher im Gegenteil. Doch damals sagte ich, weil es mir so unendlich weit weg erschien, an meinem 65. Geburtstag rauchst (damals hatte ich ja noch geraucht) eine richtig teure Zigarre und trinke ein Glas „guten“ Rotwein. Nun bin ich 58 und die 65 sind nicht mehr so weit entfernt. Es war, ein kurzer Augenblick des Überlegens und ich vertagte dieses Vorhaben auf meinen 85. Geburtstag. Es beleibt zu vermuten, dass diese Entscheidung auch keinen Bestand haben wird.

Komme ich nun zu meiner zweiten Verhaltensveränderung dem „Nein“ sagen. Wo bzw. an welchen Stellen sollte ich denn einmal mehr „Nein“ sagen? Ich machte eine kleine Analyse. Berufliche Überlastung hatte ich schon im Krankenhaus für mich herausgefunden. Mir vielen auch sofort ein, zwei... Bereiche ein, in den ich überlastet war. Ich war unter anderem für die ganze EDV verantwortlich. Das bedeutet, ich hatte eine kleine Serverfarm und etwa zu dem Zeitpunkt 350 Rechner zu betreuen. Wie sollte ich das meinem Arbeitgeber gegenüber vertreten? Mit welchen Augen wird er mich dann sehen? Was werden meine Kolleginnen und Kollegen von mir denken und wie darauf reagieren? Werde ich meine mir bis dahin schwer erarbeitete Anerkennung verlieren? Ja, werden sich einige sogar von mir abwenden?

Viele dieser Fragen lasteten auf mir und machten mir meine Entscheidung „Nein“ zu sagen fast unmöglich. Ich wollte anerkannt, beliebt und geliebt werden. Doch bleibt dies bestehen, wenn ich tatsächlich anfange „Nein“ zu sagen? Kann ich das aushalten wenn sich einige der Kolleginnen und Kollegen von mir distanzieren? Werde ich es als persönlich Niederlage werten und für mich einordnen oder kann ich es als Irritation ihrerseits sehen? Sie sind vielleicht überhaupt nicht vorbereitet auf mein so plötzlich dastehendem „Nein“. Wissen es nicht einzuordnen. Wird es Bestand haben oder ist es nur vorübergehend? All das und noch viel mehr, sind Fragen die sich meinem Gegenüber stellen.

Die Antwort darauf, lautet eindeutig „Jain“.

Einiges läuft wie erwartet oder vielleicht sollte ich besser sagen, wie befürchtet und anderes ganz anderes als von mit voraus gedacht. Doch habe ich die Erfahrung gemacht, lange nicht so ausgeprägt wie es sich in meinen Gedankenspielen abzeichnete. Einem Kollegen, der mein Nein überhaupt nicht einordnen konnte habe ich gesagt: „Wenn Du mir das nächste Mal, wenn ich auf dem OP-Tisch liege, meine Hand hältst und mir in meiner Todesangst beistehst und mir meine vielen, dann auftauchenden Fragen beantwortest, mache ich weiter so wie bisher.“ Er wurde sehr nachdenklich und fragte dann nur. „So siehst Du das jetzt?“ Bevor er sich umdrehte und ging, gab ich ihm noch folgendes mit auf den Weg. „So darf ich es jetzt sehen, um noch ein wenig hier zu sein.“ Unser Verhältnis hat sich nur dahingehend verändert, dass ich nicht mehr das mache was ich bis zu meinem Herzinfarkt getan habe. Es sind andere Lösungen gefunden worden und wir sind immer noch freundschaftlich verbunden.

Um die als Überschrift gewählte Frage zu beantworten, möchte ich sagen. Ja! Uns fehlt oftmals der Mut und wir lassen uns von der Angst gefangen halten. Mich hat es nicht umgebracht als ich anfing, auch in anderen Bereichen wie im Umgang mit meinem Alkoholismus, „Nein“ zu sagen. Dort hatte ich es sehr schnell gelernt. Dennoch, auch wenn die Angst unendlich groß zu sein scheint, möchte ich allen Mut machen den Weg, ihren ja ich möchte erweiternd sagen, gesunden Weg des „Neinsagens“ zu gehen. Es wird mit jedem Mal ein klein wenig leichter. Heute sage ich Nein mit dem Anspruch auf Akzeptanz ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich wünsche allen, dass Sie Ihren Weg mutig gehen. Seid achtsam und geht sorgsam mit Euch um.

Gerald

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